Dazu fällt mir die Analogie des Schreibens und des Denkens auf. Das Denken beeinflusst das Schreiben – und umgekehrt, da Schreiben das Denken veräußert. Schreiben erlaubt, den Denkprozess zu verlangsamen und mehr Elemente in die »Kalkulation« einzubeziehen; interaktives Denken, Nachdenken über die niedergeschriebenen Zwischenprodukte des eigenen Denkens. Es ist ein Prozess, in dem wir durch Verwendung von Sprache Wissen oder Erkenntnis produzieren. »Das Produkt, das auf dem Papier steht, entlastet das Gedächtnis, erlaubt, mehr Elemente einzubeziehen« (Otto Kruse, Psychologe und Schreibforscher).
Allen Schreiber*innen stehen dafür dieselben Möglichkeiten zu Gebote. Doch sie nutzen sie nicht alle gleich. Je umfangreicher die Texte sind und je schwieriger die Aufgabe ist, um so mehr differiert die Art, wie jemand schreibend denkt; um so stärker wird die Handlungsform »Schreiben« individuell gestaltet und um so intensiver und differenzierter werden die Sprache als Medium des Denkens und des Schreibens als Möglichkeit für ein vielfach zerlegendes Handeln genutzt.
Zeichnen ist eine andere Art von Sprache und eine kulturelle Praxis. Wir alle haben erst durch das Schreiben, in der Schule gelernt: am Anfang die Buchstaben, danach komplexe Zusammenhänge. Beim Zeichnen wird erstens die Motorik der Hand geschult, was automatisch die Gehirnleistung steigert. Zweitens wird die Beobachtungsgabe geschärft, das Differenzierungsvermögen nimmt zu — beides sind Grundvoraussetzungen für erfolgreiches Lernen im Schulunterricht. In der Zeichnung, wie beim Schreiben, wird die Handschrift des Zeichners sichtbar. Hegel sieht die Zeichnung als eine der höchsten Künste. Bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts bleibt es bei der theoretischen Unterscheidung von Zeichnung und Malerei. In der akademischen Bewertung behält die Zeichnung zudem ihren untergeordneten Rang. Die künstlerische Praxis beginnt sich aber zunehmend von den normativen Ansprüchen der akademischen Ästhetik zu lösen. Künstler wie Paul Cézanne beginnen damit, das Prinzip der Linie für die Zeichnung anzuzweifeln und entwickeln Zeichnungen aus farblichen Eindrücken heraus. Die alte Diskussion zwischen »Zeichnern« und »Malern«, die nach dem Primat von Linie oder Farbe für die Malerei gefragt hatten, betrifft nun die Zeichnung selbst. Sie ist nicht mehr festgelegt auf lineare Darstellung und reduzierten Farbeinsatz. Die verschiedenen Kunstbewegungen am Anfang des 20. Jahrhundert nehmen diesen Ansatz auf, so dass die theoretische Grenze zwischen Malerei und Zeichnung zunehmend verwischt und die Vielfalt der Zeichnung als künstlerischem Ausdruck anerkannt wurden.
Umdenken: anders herangehen, die Dinge neu begreifen, die Perspektive wechseln, sich in einen Lernprozess begeben, seine Ansichten ändern, seine Auffassungen revidieren, seine Denkweise verändern, sich umgewöhnen, umlernen, sich umstellen.
Eine Einladung für die Betrachtung unterschiedlicher Merkmale und Denkweisen der drei neuen Mitglieder von EULENGASSE anhand des zeichnerischen Ausdrucks. Zeichnen ist die Gemeinsamkeit und gleichzeitig auch die Verschiedenartigkeit bei den Arbeiten von Sophia Cull, Brigitte Waibel und Jürgen Wolff.
Eine Frage bleibt hier offen:
Gibt es Denken ohne Umdenken?
Vládmir Combre de Sena
Quellen:
1. https://de.wikipedia.org
2. Molitor-Lübbert, Sylvie. Schreiben und Denken. Kognitive Grundlagen des
Schreibens. Springer Fachmedien Wiesbaden 2002.
3. KUNSTUNTERRICHT Peter Eckardt. http://www.unterricht.kunstbrowser.
de/technischemittel/zeichnen/theoriederzeichnung/index.html